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Titel
Schwertträger und Gotteskrieger. Untersuchungen zur frühmittelalterlichen Kriegergesellschaft Alemanniens


Autor(en)
Rafael Wagner
Reihe
St. Galler Kultur und Geschichte 42
Erschienen
Zürich 2019: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
528 S.
Preis
68.00 €
von
Alfons Zettler

«Am Anfang stand das Kloster St. Gallen» (S. 11), so leitet Rafael Wagner das Vorwort zur nun gedruckten Fassung seiner Basler Dissertation (2018) ein, und was man sich unter den Schlagworten «Schwertträger und Gotteskrieger» genauer vorzustellen habe, verrät der Untertitel des gewaltigen Werks. «Alemannien und seine Kriegergesellschaft» (S. 13) werden in den Blick gefasst – eine heterogene Gesellschaft, welche beispielsweise «die Truppen des schwäbischen Herzogs Burchard in Italien, die St. Galler Mönche im Kampf gegen die Ungarn, die Haustruppe Bischof Salomos von Konstanz, lokale Aufgebote der Grafen und Centenare, die Kastellbewohner von Arbon, den spezialisierten Teil einer klösterlichen familia oder die freien Schwertträger, die jeder frühmittelalterlichen Urkundenausstellung als Zeugen dienten», miteinschliesst. Ausgehend vom Kloster St. Gallen und dessen Einzugsbereich, also dem (weiteren) Bodenseeraum, wird diese alemannische Kriegergesellschaft als «standesübergreifende Gemeinschaft» (S. 13 f.) betrachtet. Im Anschluss an seine Bemerkungen über den Gegenstand der Untersuchungen definiert der Autor in der umfangreichen Einführung Raum und Zeit (S. 15), Begriffe und Grenzen (S. 18), um schliesslich diejenige «schriftliche Überlieferung in Schwaben» zu definieren und zu charakterisieren, die er für sein Vorhaben vor allem heranziehen will (S. 29–38).

Wagner baut die in zwei grosse Teile grobgegliederte Arbeit um die hauptsächlichen Quellenbestände Schwabens aus dem 9. bis 11. Jahrhundert, in erster Linie um das weltweit einzigartige Corpus von bald 900 frühmittelalterlichen Originalurkunden aus dem Galluskloster. Dieses Corpus entstammt der Zeit vor der Jahrtausendwende, vor allem aus dem 8. und 9. Jahrhundert, und blieb im Sanktgaller Stiftsarchiv vorzüglich erhalten. Seit längerem schon zählt es zum Weltkulturerbe, neuerdings auch zum Memory-of-the-World-Programm. Für die nachfolgende Periode ab 920, als die Zahl der überlieferten dokumentarischen Quellen in St. Gallen stark zurückgeht, um schliesslich im 11. Jahrhundert fast ganz zu versiegen, sieht sich der Autor dann zunehmend auf chronikalische historische Überlieferung aus Alemannien und Schwaben angewiesen. Die alemannische Gesellschaft wird im ersten Hauptteil des Buchs unter den Aspekten «Militarisierung und Reform» (S. 39) analysiert und dabei zunächst in Krieger und Waffenträger einerseits (S. 41) sowie Hörige, Dienstleute und ‹Ministeriale› andererseits (S. 118) eingeteilt. Seinen sozialgeschichtlichen Studien verleiht der Autor Nachhaltigkeit und zusätzliche Tie fenschärfe mittels einer ausführlichen Revue der römischen Kastelle, der städtischen Mauern und der ländlichen Refugien im Untersuchungsgebiet (S. 204). Thematisch knüpft er mit seiner Arbeit an historische ‹Initialerlebnisse› des St. Galler Klosters und der Mönche wie den Ungarnüberfall der Jahre zwischen ca. 923 und 926 an, und an die sich eben damals unter blutigen Fehden und Schlachten vollziehende Geburt des Herzogtums Schwaben.

Dem ersten Narrativ «Militarisierung und Reform» lässt Wagner einen zweiten, teils stark strukturgeschichtlichen Durchgang folgen, diesmal unter dem Aspekt «Mutationen der Macht» (S. 293). Dabei gelingt es dem Autor unter anderem, für das 10. Und 11. Jahrhundert eine verlässliche ‹Verlängerung› des Borgolteschen Grundlagenwerks über die (karolingischen) Grafen und Grafschaften Alemanniens zu erschaffen. Anderer seits kommen König und Reich, Italien und das Imperium nach meinem Dafürhalten zu kurz. Die Folge ist, dass öfters Facetten dieser zentralen historischen Ebene ausgeblendet bleiben, die sich längst als essentiell für die Formierung und den damals erworbenen Charakter des Herzogtums Schwaben (S. 404) erwiesen haben. Darüber hinaus wird speziell in diesem Zusammenhang, aber auch an anderen Stellen des Buches, häufig auf Ekkeharts Casus Sancti Galli zurückgegriffen – an sich eine grossartige und nicht umsonst hochberühmte Klosterchronik ihrer Zeit! Bei ihrer Benutzung als historische Quelle darf jedoch nie die Aussageabsicht des Chronisten ausser Acht gelassen werden, genauso wie immer in Rechnung zu stellen ist, dass Ekkehart zumeist erst Generationen nach den Ereignissen über diese berichtete.

Das Werk ist komfortabel ausgestattet mit 29 zum Teil farbigen Abbildungen, Grafiken und Kartenskizzen, dazu mit zwei für das Verständnis der ausgebreiteten Materie zentralen Kartierungen im Anhang (S. 446). Es folgen Listen der «schwäbisch-alemannischen» Grafschaften und der zugehörigen Grafen für den Untersuchungszeitraum vom 8. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts (S. 448) sowie ein nützliches «Glossar und lateinisches Sachregister» (S. 455). Im Verein mit dem Personen- und Ortsnamenregister (S. 467) und einem Verzeichnis der benutzten Quellen und Literatur (S. 485) erschliessen diese Listen und Register den Band auf vorbildliche Weise. Zur komfortablen Ausstattung rechnet sich schliesslich noch ein Zeichenband, während der eifrige Wissenschaftler die für die Orientierung in einem solchen Opus magnum höchst wichtigen lebenden Kolumnentitel vermisst.

Rafael Wagners «Schwertträger und Gotteskrieger» ist ein höchst komplexes und gehaltvolles Kompendium zur früh- und hochmittelalterlichen (Sozial‐)Geschichte des (weiteren) Bodenseeraumes und wirft nebenbei helles Licht auf die Anfänge und die ältere Geschichte des Herzogtums Schwaben. Zahlreiche Aspekte und Themen werden entlang des roten Fadens der alemannischen «Kriegergesellschaft» verfolgt, viele fruchtbare Seitenlinien und Gedanken werden nebenbei angeschnitten. Da das Buch konsequent aus den Quellen gearbeitet ist, erweist es sich als hervorragendes Grundlagenwerk für die mediävistischen Wissenschaften. Dass es sich dabei zu Teilen auch ganz vergnüglich liest, erscheint mir ein besonders erwähnenswertes Qualitätsmerkmal zu sein. Eine Besprechung in wenigen Zeilen kann einem solchen Opus magnum beim besten Willen nicht gerecht werden. Mögen die «Schwertträger und Gotteskrieger» nicht nur in den einschlägigen wissenschaftlichen Fachkreisen, sondern auch bei einem breiteren Publikum auf die ihnen gebührende Resonanz stossen!

Zitierweise:
Zettler, Alfons: Rezension zu: Wagner, Rafael: Schwertträger und Gotteskrieger. Untersuchungen zur frühmittelalterlichen Kriegergesellschaft Alemanniens, Zürich 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (3), 2021, S. 493-494. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00093>.